Als Advocacy Director der Rainforest Alliance beteilige ich mich an vielen Diskussionen zum Thema, wie auf Ausbeutung basierende Lieferketten am besten transformiert werden können. Diese Debatten sind wichtig, wenn es darum geht, effektive Lösungen zu suchen und sie tragen darüber hinaus zu einem gesunden Wettbewerb der Zertifizierungssysteme bei.

Weniger konstruktiv ist jedoch, wie einige die Überlegenheit eines Standards herausstellen, indem die Standards der Mitbewerber diskreditiert werden. Mit dieser Vorgehensweise ist niemandem geholfen, weder der Nachhaltigkeitsbewegung insgesamt noch bestimmten Organisationen, am wenigsten jedoch den ErzeugerInnen, für die wir uns einsetzen. Damit wird nur vom eigentlichen Problem abgelenkt, nämlich den landwirtschaftlichen Produkten, die noch immer nicht nachhaltig angebaut oder bezogen werden.
Was mir im öffentlichen Diskurs auch auffiel, ist die unerfreuliche Tendenz, Falschinformationen zu verbreiten. Ein Beispiel der jüngsten Zeit ist die Entscheidung Nestlés, den zertifizierten Kakao für seine KitKat-Schokoriegel in Großbritannien künftig nicht mehr von Fairtrade, sondern von Rainforest Alliance-zertifizierten Farmen zu beziehen. Dieser Schritt löste eine heftige Debatte aus, die teilweise gar nicht mehr auf Fakten basierte. Aus diesem Grund möchte ich im Folgenden einiges klarstellen und unwahre Behauptungen, die im Wettbewerb der Zertifizierungen aufgestellt werden können, richtigstellen.
Zunächst gilt es darzulegen, dass die Rainforest Alliance und Fairtrade zwar gemeinsam das Ziel verfolgen, mit dem Angebot freiwilliger Nachhaltigkeitssysteme nachhaltige Lieferketten zu fördern, sich im Schwerpunkt und Ansatz jedoch grundsätzlich unterscheiden. Beiden ist das Bestreben gemeinsam, auf Ausbeutung basierende Lieferketten umzuwandeln. Weitergehende Vergleiche sind jedoch weder hilfreich noch konstruktiv.
Für die Rainforest Alliance sind soziale, wirtschaftliche und ökologische Verbesserungen unmittelbare Voraussetzen für das größere Ziel der Nachhaltigkeit. Nach dem Zusammenschluss der Rainforest Alliance mit UTZ haben wir über ein Jahr lang die Stärken der Zertifizierungsprogramme der Rainforest Alliance und UTZ herausgearbeitet, um unser neues, im Juli 2021 in Kraft tretendes Zertifizierungsprogramm zu gestalten. Unser neuer Standard setzt auf „kritische Kriterien“ in allen drei Bereichen – Anforderungen, die Farmbetriebe und Akteure der Lieferkette zur Erlangung und zum Erhalt eines Zertifikats erfüllen müssen. Außerdem verfolgt er einen ehrgeizigen neuen Ansatz, kontinuierliche Verbesserung zu messen.

Für die Rainforest Alliance ist ein existenzsichernder Lohn für FarmerInnen ein vorrangiges Ziel , ebenso wie für viele andere Organisationen, die Zertifizierungsprogramme anbieten. Wir gehören zu den Gründungsmitgliedern der Living Income Community of Practice, einer internationalen Arbeitsgemeinschaft zur Verbesserung der Einkommenssituation von Kleinbauern. Unser eigener Ansatz ist ganzheitlich und darauf ausgerichtet, durch Schulungsmaßnahmen in landwirtschaftlicher Betriebsführung, Vermittlung von Finanzkenntnissen und durch Sicherung des Markzugangs eine längerfristige Wirtschaftlichkeit und Widerstandsfähigkeit zu fördern.
Zu den wichtigsten Aspekten unseres Zertifizierungsprogramms, mit dessen Hilfe wir die Lebensbedingungen der Landwirte durch gemeinsame Verantwortung verbessern wollen, gehört die Forderung nach zusätzlichen Abgaben für zertifizierte landwirtschaftliche Erzeugnisse. Unser neues Programm verlangt von Käufern einen Nachhaltigkeitsbonus, eine zusätzliche Pflichtabgabe über den marktüblichen Preis hinaus, die zertifizierten Farmen zugutekommt. Diese Abgabe ist weder an Auflagen gebunden noch unterliegt sie Einschränkungen (wir wollen ja schließlich auch keine Vorschriften, wie wir uns unser Einkommen einzuteilen haben, warum sollten wir also bei FarmerInnen einen Unterschied machen?) Darüber hinaus führen wir die Forderung von Nachhaltigkeitsinvestitionen für Käufer ein. Diese sind angehalten, Geld- und Sachinvestitionen für Farmergruppen nach deren eigenen Investitionsplan und Bedarf zu leisten. Eine solche Investition ist nicht nur für die Umsetzung unseres Zertifizierungsprogramms wichtig, sondern auch für die laufenden Verbesserungen des Nachhaltigkeitsgedankens. Da sich diese Investitionen gezielt am individuellen Bedarf der ErzeugerInnen orientieren, stärken wir auf diese Weise deren Expertise und erreichen gemeinsam eine gerechtere Lieferkette.
Ebenso fördern wir einen Strukturwandel und langfristige Planung, die den ErzeugerInnen zugutekommen. Mit Blick auf die laufende Debatte, ob Mindestpreise oder feststehende Prämien an sich bereits Wirkung zeigen, unterstützt unser neues Zertifizierungsprogramm den Nachhaltigkeitsbonus (Geldleistung) und die Nachhaltigkeitsinvestition , indem wir die Lieferkette transparenter gestalten. Es ist unser Ziel, die Kluft zwischen dem gegenwärtigen Einkommen der FarmerInnen und dem, was in den jeweiligen Ländern als existenzsichernder Lohn gilt, innerhalb der gesamten Lieferkette sichtbar zu machen, während wir gleichzeitig eine Kontinuität in den Beziehungen zwischen ErzeugerInnen und KäuferInnen fördern.
Durch diesen Ansatz stärken wir die Verhandlungsposition von ErzeugerInnen und versetzen sie in die Lage, höhere Preise auszuhandeln, wenn feststehende Prämien aufgrund von Marktfluktuationen nicht mehr tragfähig sind. Auch sichern sich FarmerInnen so weiterhin Zugang zu Märkten, auf denen sie diesen Preis erzielen können. Wir verfolgen das Ziel, die Wirtschaftlichkeit und Flexibilität von Farmbetrieben insgesamt zu erhöhen, indem wir die Position der FarmerInnen in der Lieferkette stärken. In diesem Sinne tragen auch die strengen ökologischen Auflagen unseres neuen Standards dazu bei, auf Klimaveränderungen reagieren zu können und die Bodengesundheit, Wasserwege, tropischen Regenwälder und den Gesamtzustand des Ökosystems, entscheidend für den landwirtschaftlichen Anbau, zu schützen.

Tarifverhandlungen für ArbeiterInnen – ein Grundpfeiler unseres Zertifizierungsprogramms. In unseren Standards ist eines klar festgelegt: „ArbeiterInnen haben das Recht, Gewerkschaften oder Arbeitnehmerorganisationen ihrer Wahl zu gründen oder ihnen beizutreten und an Kollektivverhandlungen teilzunehmen.“ Das bedeutet, dass jeder Betrieb, der Arbeitnehmerorganisationen verhindert und von dieser Haltung nicht abrückt, sein Zertifikat verliert. Zu diesem Zweck haben wir neue Richtlinien für Auditoren herausgegeben, die ihnen bei der Überwachung helfen sollen.
Herzstück unseres Programms ist der kontinuierliche Verbesserungsprozess. Das betrifft alle Akteure der Lieferkette gleichermaßen, vom kleinbäuerlichen Betrieb bis hin zu führenden Unternehmen. Unser verschärftes Kakao-Zertifizierungsprogramm ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir auf die tiefsitzenden strukturellen Probleme im westafrikanischen Kakaosektor reagiert haben: mit datengestützten Gewährleistungsmaßnahmen (Assurance) und konkreten Schritten, mit deren Hilfe wir das gemeinsame Verantwortungsbewusstsein, die Lieferkettentransparenz, die Wirtschaftlichkeit und die Widerstandsfähigkeit erhöht haben.
Abschließend möchte ich betonen, dass die Rainforest Alliance in der Zertifizierung nicht die alleinige Lösung der Armut der ländlichen Bevölkerung und Umweltschädigung sieht. Jeder, der schon mal weit durch die Agrarflächen der Tropenregion gereist ist, weiß, dass Zertifizierungsorganisationen keine Art globale Agrarpolizei sein können oder sollten. Dennoch sind Zertifizierungen ein wirkungsvolles Instrument, weitgehende positive Veränderungen herbeizuführen, wenn sie Teil einer größer angelegten Nachhaltigkeitsstrategie sind. Dazu zählen auch Landschaftsplanung, intensive Ausbildungsprogramme vor Ort und Interessenvertretung, um bessere Gesetze und Geschäftspraktiken zu erwirken. Neben unserem Zertifizierungsprogramm arbeiten wir auch mit Fairtrade, Nestlé und vielen anderen zusammen mit dem Ziel, Menschenrechte und Umwelt-Due-Diligence bzw. die Anforderungen an diese zu verschärfen. Dabei beginnen wir mit der Europäischen Union als dem weltgrößten Importeur von Konsumkakao. Diese Anforderungen sind ein wichtiger Schritt, die Verantwortung in nachhaltigen Lieferketten gerechter zu verteilen und den Nutzen nachhaltiger Produktion einem breiteren Kreis von ErzeugerInnen zugutekommen zu lassen.
Wir werden weiterhin über ISEAL und andere gemeinsame Plattformen mit anderen Zertifizierungsprogrammen im Geiste eines gesunden, respektvollen Wettbewerbs zusammenarbeiten, um global nachhaltigere Geschäftspraktiken zu fördern. Dazu gehören unsere laufenden Bemühungen, unser neues Zertifizierungsprogramm auf Unternehmen und Produkte auszudehnen, die gegenwärtig nicht zertifizierten Kakao beziehen und uns, wo es notwendig erscheint, mit unseren Interessen für unsere gemeinsamen Ziele einzusetzen, wie wir es im Fall von Gesetzen zu Menschenrechten und zur Umwelt-Due-Diligence getan haben.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf LinkedIn Pulse.