Die Weltbevölkerung bewegt sich bis zum Jahr 2050 auf 9,8 Milliarden Menschen zu, und so werden auch die begrenzten natürlichen Ressourcen unseres Planeten immer knapper. Man möchte meinen, Gewinn für die einen führe automatisch zum Verlust für die anderen. Doch in puncto Geschlechtergerechtigkeit trifft genau das Gegenteil zu. EntwicklungsexpertInnen bestätigen, dass alle Menschen davon profitieren, wenn wir die Rechte von Frauen stärken. Bei der Rainforest Alliance können wir das immer wieder beobachten: Verbessert sich die Situation der Frauen, dient das in erstaunlichem Maße dem Wohle aller.
Das Engagement für Frauenrechte ist besonders in der Umgestaltung der Landwirtschaft wichtig. In Entwicklungsländern sind 43 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte Frauen. Frauen machen auch zwei Drittel der mittellosen ViehbesitzerInnen aus, die es zu Millionen auf der Welt gibt. Obwohl Frauen den Großteil der unbezahlten Arbeit leisten – darunter die Versorgung von Kindern und Älteren, Kochen und andere Haushaltsaufgaben – wird ihnen der Zugang zu Schule, Ausbildung und Technologien oft versagt. Besitz zu haben oder ihre natürlichen Ressourcen selbst zu verwalten, wird ihnen häufig verwehrt und sie werden von Entscheidungsprozessen, die ihr Leben unmittelbar beeinflussen, ausgeschlossen. Im Durchschnitt verdienen Frauen in den meisten Ländern nur 60 bis 75 Prozent der Löhne ihrer männlichen Kollegen und sie bekommen oft weniger für die gleiche Arbeit.
Studien zeigen jedoch, dass ganze Familien und Gemeinschaften profitieren, wenn Frauen stärkeren wirtschaftlichen Einfluss bekommen. Verwalten Frauen das Haushaltseinkommen, so geben sie eher als Männer das Geld für ihre Familien aus (Nahrungsmittel, Kleidung und Gesundheitsversorgung). Forschungen zufolge steigt die Überlebensquote von Kindern um 20 Prozent, wenn Frauen das Haushaltsgeld verwalten. Wenn die FarmerInnen gleichen Zugang zu Ressourcen, Bildung, Finanzen und Landrechten erhalten, können sie die Erträge ihrer landwirtschaftlichen Betriebe um 20 bis 30 Prozent steigern.

Unsere ehrgeizigen Anstrengungen, Frauen auf dem Land den Rücken zu stärken, sind von globalen und regionalen Notwendigkeiten gleichermaßen bestimmt. In einigen Szenarien droht der Klimawandel die Ernteerträge um bis zu 25 Prozent zu senken; diese Verluste würden zu zusätzlicher Entwaldung führen (weil Bäume gefällt werden, um vorhandene landwirtschaftliche Betriebe zu erweitern und neue aufzubauen) und den Teufelskreis der Erderwärmung verschlimmern. Wenn jedoch vorhandenes Farmland produktiver gemacht werden kann, verschwindet der wirtschaftliche Druck, die Landwirtschaft auszuweiten.
Weil die Rainforest Alliance eine Organisation vor Ort ist, konnten wir aus nächster Nähe beobachten, wie der erleichterte Zugang zu Bildung und technischer Unterstützung für Frauen zu einer höheren Produktion, besseren Einkommen für Familien und einem gesteigerten Wohlergehen von Familien führt. Frauen sind nicht nur starke Verbündete, wenn es darum geht, Wälder zu erhalten, Klimaresilienz aufzubauen und Artenvielfalt zu schützen – sie sind der entscheidende Faktor für eine nachhaltige und gesunde Entwicklung ländlicher Gemeinschaften rund um die Welt.
Den Wandel befördern: FarmerInnen verwandeln ihre Gemeinschaften
Weil fast die Hälfte aller landwirtschaftlichen Arbeitskräfte auf der Welt Frauen sind, durchzieht unser Engagement für Geschlechtergerechtigkeit unser gesamtes landwirtschaftliches Zertifizierungsprogramm. Um eine Zertifizierung von der Rainforest Alliance zu erhalten, müssen landwirtschaftliche Betriebe zusätzlich zu strengen Umweltanforderungen auch wichtige soziale Kriterien erfüllen – darunter das Verbot aller Formen von Diskriminierung von Frauen hinsichtlich des Lohns, der Anstellung, Ausbildung, Aufgabenverteilung, Zuwendungen und Beförderungen. Es gehört zu unserer systemimmanenten „kontinuierlichen Verbesserung“, dass landwirtschaftliche Betriebe, die von der Rainforest Alliance zertifiziert werden, „die Gleichstellung und Ermächtigung von Frauen unterstützen müssen, darunter auch die Teilhabe an Schulunterricht und Ausbildung und der gleiche Zugang zu Produkten und Dienstleistungen.”
Natürlich ist uns bewusst, dass es zur Bekämpfung von tief verwurzeltem Sexismus nicht ausreicht, Regeln und Anforderungen zu veröffentlichen. Es braucht proaktive Planung, Bildung und Beratung, um die Diskriminierung zu beenden und neue Möglichkeiten für Frauen zu schaffen. Unser Kakao-Schulungsprogramm in Nigeria konzentriert sich beispielsweise auf die Entwicklung von Führungsqualitäten bei Frauen in diesem Sektor. Es werden nicht nur mehr Farmerinnen, sondern auch mehr landwirtschaftliche Technikerinnen und Verwalterinnen von Kooperativen ausgebildet.

In Ghana, wo Frauen für 25 Prozent der Kakaoproduktion des gesamten Landes verantwortlich sind, machen Frauen zwei Drittel der von der Rainforest Alliance zertifizierten Asuontaa Cocoa Farmers’ Cooperative aus. „Viele Frauen in diesem Bereich denken, der Kakaoanbau sei ein Männerjob“, sagt Madam Paulina Sarfo, eine der führenden ErzeugerInnen der Asuontaa Cocoa. „Doch ich bin ein Vorbild für junge und ältere Frauen. Ich sporne sie an, sich an den Kakaoanbau zu wagen. Wenn das nachhaltig geschieht, ist der Kakaoanbau lukrativ.“
Sarfo und ihre Kolleginnen steigern nicht nur den Kakaoertrag, sondern haben auch Pufferzonen geschaffen, Bäume gepflanzt und Brandschutzmaßnahmen getroffen. Um sie gegen die vielen Variablen zu schützen, die den Ertrag verschlechtern könnten, ermutigen wir Frauen mit Kleinbetrieben, Pflanzen wie Kochbananen und Wasserbrotwurzel anzubauen, und schulen sie für verschiedene Aktivitäten – wie Bienenhaltung und Seifenherstellung –, mit denen sie ein zusätzliches Einkommen erzielen können.
Geschlechtergerechtigkeit beim Landschaftsschutz
Konkrete Initiativen für die Geschlechtergerechtigkeit sind ebenfalls wichtige Komponenten unserer Landschaftspflege. In Guatemalas Maya Biosphere Reserve (MBR), wo wir seit den späten 1990er- Jahren mit forstwirtschaftlichen Gemeinschaften zusammenarbeiten, haben wir Initiativen, bei denen Frauen im Mittelpunkt stehen, in unsere Entwicklungsprogramme für gemeinschaftliches Unternehmertum integriert. Unsere Anstrengungen wurden offiziell durch die Schaffung einer Arbeitsgruppe für Gleichstellung im Jahr 2014 gekrönt.
Eines unseres Vorzeigeprojekte im MBR sind Schulungen für sieben Gemeinschaften im Maya Biosphere Reserve, um wirtschaftliche Möglichkeiten für Frauen durch die Ernte und Verarbeitung der Samen des Brotnussbaums zu schaffen, einem Nichtholz-Walderzeugnis mit hohem Nährwert. In den Schulungen, die in Zusammenarbeit mit der Association of Forest Communities of Petén (ACOFOP) durchgeführt und 2012 begonnen wurden, lernten die Frauen aus diesen Gemeinschaften, sich selbst zu organisieren, um bessere Preise auszuhandeln.

Wir haben auch mit unseren indigenen Partnerorganisationen im Amazonasgebiet Perus zusammengearbeitet, um die Führungsfähigkeiten von Frauen und die Kapazitäten bei Entscheidungsprozessen in gemeinschaftlichen Unternehmen zu stärken, darunter die Entwicklung einer Marke von Paranuss-Produkten, Waldbauinitiativen und Ökotourismus. Frauen spielten eine wichtige Rolle bei dem beeindruckenden Erfolg des Paranuss-Unternehmens, das mehr als 4000 Tonnen geschälte Nüsse im Wert von fast 31 Millionen USD in nur einem Jahr exportierte.
Der Tourismus ist ein weiteres Feld unserer Landschaftspflege, bei dem sich Frauen in Führungsrollen hervorgetan haben. Alma López, Leiterin einer kommunalen touristischen NGO mit dem Namen Mujeres Generando Cambio y Bienestar A.C. (Frauen schaffen Wandel und Wohlergehen), reist durch den mexikanischen Staat Oaxaca, um Frauen in indigenen Gemeinschaften dabei zu helfen, Unternehmen in der Tourismusbranche zu gründen und zu leiten. Mit Hilfe der Schulungsmethoden der Rainforest Alliance begleitet López Frauen dabei, Businesspläne für Unternehmen zu erstellen und einzuführen, bei denen es u. a. um traditionelle Web- und Stickarbeiten, Keramik und Kulinarik geht. Auch wenn sich die bewährten Methoden, die sie vermittelt, auf die Erhaltung von Wäldern, den Schutz der Tierwelt und die Sicherung kultureller Traditionen konzentrieren, betont López doch zugleich, dass das zusätzliche Einkommen, das diese Frauen erwerben können, höchstwahrscheinlich in ihre Familien investiert wird. „Der Tourismus ist ein Werkzeug, um die Armut in unseren einheimischen Gemeinschaften zu bekämpfen“, so López.
Die Stimme erheben
Ob es nun um eine Schulung in nachhaltiger Landwirtschaft, nachhaltiger Forstwirtschaft, Finanzmarktwissen oder weiteren Business-Skills geht, unsere Arbeit für Geschlechtergerechtigkeit beginnt normalerweise mit den praktischen und greifbaren Schritten und strahlt dann nach außen. Es mag einfach klingen, ein solcher Besuch einer landwirtschaftlichen Schulung oder einer Unterrichtsstunde zum Thema Finanzmarktwissen, aber Farmerinnen gewinnen dadurch nicht nur neues Wissen, sondern auch ein neues Unterstützungsnetzwerk und mehr Selbstvertrauen. „Ich fühlte mich immer von den Farmern eingeschüchtert“, sagt die Kakaofarmerin Vida Tsatso Boaful aus Ghana. „Doch nach einiger Zeit in dem Programm ist dieses Unterlegenheitsgefühl so weit verschwunden, dass ich mich in Gegenwart von Männern sogar mutig äußern kann.“

Felisa Navas Pérez gehörte zum Forstwirtschaftsunternehmen ihrer Gemeinschaft im Maya Biosphere Reserve in Guatemala, als der Präsident der Konzession ermordet wurde (aller Wahrscheinlichkeit nach von Drogenhändlern, die die Kontrolle über das Land erhalten wollten). Plötzlich fand sich Pérez auf einem Spitzenposten wieder. Während benachbarte Konzessionen Mühe hatten, sich am Markt zu halten, geht es ihrer Gemeinschaft gut. Die Witwe und Mutter von fünf Kindern hat ihre Konzession unerschrocken in die Solvenz und die FSC-Zertifizierung geführt und dabei Wälder und regionale Existenzgrundlagen gesichert.
Während Frauen neue Fähigkeiten erwerben und eine wichtigere Rolle in ihren Gemeinschaften einnehmen, gibt es immer noch Luft nach oben. Hermelinda Delfín findet ganz einfache Worte dafür. Sie gehört zu einem Waldbauteam in Mexiko, das aus sechs Frauen besteht. Delfín und ihre Kolleginnen haben an der Rainforest Alliance-Schulung zur Verhinderung von Entwaldung und der Eindämmung des Klimawandels teilgenommen und verdienen ihren Lebensunterhalt mit einer Kombination mehrerer Aktivitäten, mit denen der Wald, der ihnen Heimat ist, geschützt wird. Darunter fällt auch der Anbau von Kakao und die Ernte von Palmblättern. „Ich bin sehr stolz, zu diesem Projekt zu gehören“, berichtet sie. „Früher gab es für mich nur Küche, Kirche, Kinder. Jetzt kann ich meinen Platz neben den Männern behaupten.“