Um tief verwurzelte soziale und ökologische Probleme anzugehen, brauchen wir eine ganzheitliche Vision und eine vielfältige Herangehensweise. Für die Rainforest Alliance ist die unternehmerische Sorgfaltspflicht für Menschenrechte und Umwelt (HREDD) — in deren Rahmen Unternehmen die Risiken in den Bereichen Menschenrechte und Umwelt und deren Auswirkungen in ihren Lieferketten ausmachen, verhindern, lindern und dafür Rechenschaft ablegen — eine grundlegende unternehmerische Verantwortung. Darum unterstützen wir Gesetzesinitiativen, deren Ziel es ist, eine gesetzlich vorgeschriebene HREDD für Unternehmen in ihrer jeweiligen Rechtsprechung zu verankern und durchzusetzen. Unser Zertifizierungsprogramm kann Unternehmen dabei helfen, der Sorgfaltspflicht, für die wir uns einsetzen, nachzukommen.
Zertifizierung als Werkzeug — nicht als Ersatz — für die Umsetzung der Sorgfaltspflicht
Bei der Einhaltung einer gesetzlichen HREDD sind Unternehmen dazu verpflichtet, nachhaltige Methoden in ihren Prozessen und Lieferketten einzuführen. Die Zertifizierung kann sie bei diesen Bemühungen unterstützen, wenn sie sich über deren Vorteile und Grenzen bewusst sind. Unternehmen sollten in diesem Zuge effektive Methoden der Sorgfaltspflicht in all ihre unternehmerischen Prozesse integrieren — und sich nicht nur darauf beschränken, zertifizierte Volumen zu beziehen.
Wie wir die Sorgfaltspflicht verstehen
Der Standard für nachhaltige Landwirtschaft 2020 des Rainforest Alliance-Zertifizierungsprogramms stellt hohe Anforderungen in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt. Wir nutzen einen risikobasierten Ansatz, um diese Anforderungen umzusetzen und zu überwachen. Sie entsprechen internationalen Prinzipien, darunter die Konventionen der International Labor Organization, die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) sowie die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen.
Hierbei ist wichtig zu beachten, dass sich die meisten Sorgfaltspflichtenanforderungen unseres Zertifizierungsstandards auf die Farmebene beziehen. Die Anforderungen für landwirtschaftliche Betriebe unsere Standards für nachhaltige Landwirtschaft schreiben vor, dass LandwirtInnen Sorgfaltspflichtenprozesse auf Farmebene einführen und darüber Bericht erstatten, indem sie unseren Assess & Address Ansatz anwenden. Bestimmte Akteure in der Lieferkette (z. B. einige landwirtschaftliche Verarbeitungsbetriebe) müssen auch über Sorgfaltspflichtenprüfungsmechanismen auf Betriebsebene verfügen. Ebenso sehen die Anforderungen an die Lieferkette vor, dass Unternehmen über eine Sorgfaltspflichtenrichtlinie in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt verfügen müssen.
Unsere Interessenvertretung und unser Team für maßgeschneiderte Lieferkettendienstleistungen stehen bereit, um Unternehmen dabei zu helfen, solche Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Sie können Unternehmen auch dabei unterstützen, Strategien zur Sorgfaltspflicht, u.a. durch Monitoring und Evaluation, Risikoeinschätzung und -minimierung, Coaching und Schulung von Lieferanten sowie Initiativen zur Interessenvertretung, zu realisieren. Unternehmen können außerdem das Accountability Framework, das u.a. von der Rainforest Alliance entwickelt wurde, nutzen. Es stellt ihnen ein Strategiekonzept zu Verfügung, mit dem Unternehmen verantwortungsbewusste Lieferketten aufbauen können.
HREDD im Zertifizierungsprogramm der Rainforest Alliance
Wir haben die folgenden Elemente eines tragfähigen HREDD-Systems in den Aufbau unseres Zertifizierungsprogramms integriert:
1. Die Berücksichtigung von Menschenrechten und Umwelt in Strategien und Managementsystemen
Die Entscheidung zum Kauf von Rainforest Alliance-zertifizierten Waren ist eine der strategischen Möglichkeiten, mit denen ein Unternehmen sein Engagement für Nachhaltigkeit umsetzen kann. Unser Standard enthält Kriterien in Bezug auf Menschenrechte und Umweltfragen – z.B. zu Kinder- oder Zwangsarbeit, Arbeitsbedingungen, existenzsichernden Löhnen, Entwaldung, gefährlichen Pestiziden und Wasserverschmutzung. Diese Kriterien entsprechen internationalen Standards, gehen aber auch teilweise über diese hinaus. Durch Schulungen und Kapazitätsaufbau vor Ort erweitern FarmerInnen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten, um unseren Standard umzusetzen. Die Anforderungen reichen dabei jedoch über die einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe hinaus und finden auch bei den Zertifizierungs-Anforderungen an die Lieferkette Anwendung. Da unser Standard sich allerdings auf zielgerichtete und kontextabhängige Lösungen auf Farmebene konzentriert, müssen Unternehmen weitere Methoden nutzen, um ihrer Sorgfaltspflicht in den übrigen Teilen ihrer Lieferketten nachzukommen.
Darüber hinaus legt unser Programm großen Wert auf die geteilte Verantwortung. Um dieses Konzept umzusetzen, umfasst unser Programm verpflichtende finanzielle Anforderungen an die KäuferInnen von Rainforest Alliance-zertifizierten Rohstoffen, z.B. die Zahlung einer Nachhaltigkeitsinvestition in bar oder als Sachleistung, die FarmerInnen unmittelbar dabei unterstützt, nachhaltigere Anbaumethoden einzuführen. Diese Investitionen müssen den Bedürfnissen entsprechen, die von FarmerInnen in ihren jeweiligen Investitionsplänen festgelegt wurden. Wenn im Investitionsplan eines Farmers/einer Farmerin die Notwendigkeit feststellt wurde, in Menschenrechte oder Umweltfragen zu investieren (z.B. in bessere Unterkünfte für die ArbeiterInnen, Schulgeld für die Kinder oder Verbesserung der Arbeitslöhne), leisten die KäuferInnen zertifizierter Rohstoffe einen unmittelbaren Beitrag zu diesen Investitionen. So erhalten die Unternehmen auch ein besseres Bild davon, welche Unterstützung Farmen für ihre Nachhaltigkeitsbemühungen brauchen, und tragen zu Investitionen bei, die genau dort ansetzen.
2. Die Identifikation und Bewertung von negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt
Einer der Schlüsselfaktoren zur effektiven Sorgfaltspflicht ist die Fähigkeit, Risiken angemessen zu priorisieren. Die Rainforest Alliance hat Risikokarten zu Kinder- und Zwangsarbeit veröffentlicht, die zuverlässige Daten zu diesen Risiken in den wichtigsten Ländern und Sektoren, in denen wir tätig sind, bereitstellen. Für zertifizierte FarmerInnen sind diese Risikokarten, wie im folgenden Absatz beschrieben, verpflichtend anzuwenden. Wir rufen aber auch Unternehmen dazu auf, diese Risikokarten in ihren eigenen Prozessen zur Risikoeinschätzung zu nutzen.
Auf Farmebene verlangt unser Zertifizierungssystem von allen ZertifikatsinhaberInnen, ihre eigenen Risiken einzuschätzen. Unser Risk Assessment Tool, das für alle ZertifikatsinhaberInnen verpflichtend ist, hilft bei der Feststellung möglicher negativer Auswirkungen in einer Vielzahl von ökologischen und sozialen Bereichen, die der Standard umfasst. Mit weiteren Assessments kann das Verbesserungspotential genauer evaluiert werden – z.B. mit dem Salary Matrix Tool, mit dem der Unterschied zwischen den aktuellen Arbeitslöhnen und dem entsprechenden Living Wage Benchmark festgestellt werden kann.
3. Die Beendigung, Vermeidung oder Linderung negativer Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt
Die Risikobewertungs-Tools und Verfahren, die im vorherigen Abschnitt erwähnt wurden, führen unmittelbar zu verpflichtenden Maßnahmen der Risikominimierung und Prävention. Wenn eine Rainforest Alliance-zertifizierte Farm oder Farmgruppe in einem Land oder Sektor tätig ist, in denen ein hohes oder mittleres Risiko für Kinder- oder Zwangsarbeit herrscht, muss sie Schritte einleiten, die diesem Risiko entsprechen. Auch fließen die Ergebnisse aus dem Risk Assessment Tool einer Farm direkt in Maßnahmen zur Risikominimierung der jeweils festgestellten Risiken ein. Alle Maßnahmen zur Risikominimierung — auf Empfehlung der Rainforest Alliance oder nach Wahl der jeweiligen ZertifikatsinhaberInnen — müssen in den Managementplan der Farm integriert werden. Ihre Implementierung wird in der Folge von AuditorInnen überprüft.
Beschwerdeverfahren sind ein weiteres wichtiges Tool, mit dem FarmerInnen negative Auswirkungen feststellen, verhindern und lindern können. Unser Zertifizierungsprogramm schreibt allen Farmen und Akteuren der Lieferkette die Implementierung eines Beschwerdeverfahrens vor, dessen Effektivität von AuditorInnen überprüft wird. Wenn FarmerInnen oder FarmarbeiterInnen der Meinung sind, dass ihre Beschwerden nicht angemessen bearbeitet wurden, können sie diese an das Beschwerdemanagement der entsprechenden Zertifizierungsstelle (Certification Body, CB) weiterleiten oder das Beschwerdeverfahren der Rainforest Alliance nutzen.
4. Das Monitoring und die Veröffentlichung der Implementierung und ihrer Resultate
Auf Farmebene stellt unser System zwei Arten der Nachverfolgung bereit: das eigene Monitoring in Form von verpflichtenden Selbstbewertungen und internen Inspektionen sowie die externe Nachverfolgung in Form von unabhängigen Audits.
ZertifikatsinhaberInnen sind zu verschiedenen Formen der Selbstbewertung verpflichtet. Darunter fällt die Überwachung von Fällen von Kinder- und Zwangsarbeit, Diskriminierung, Gewalt und Belästigungen am Arbeitsplatz als Bestandteil unseres so genannten „Assess & Address“ Ansatzes. Im Falle einer Gruppenzertifizierung muss jede Gruppe darüber hinaus ein internes System der Nachverfolgung vorweisen. Das bedeutet, dass alle Farmen, die zu der Gruppe gehören, jährlich überprüft werden und Verstöße dem Gruppenmanagement gemeldet werden, damit entsprechende Maßnahmen vorgenommen werden können.
Zusätzlich zu den internen Inspektionen und der Selbsteinschätzung prüfen von der Rainforest Alliance autorisierte Zertifizierungsstellen (CB) die Farmen und ordnen Abhilfemaßnahmen an, wenn ein Verstoß festgestellt wurde. Die Regeln der Rainforest Alliance für CB sorgen dabei für Integrität, Konsequenz und Transparenz auf Seiten unserer autorisierten CB.
Unser Standard ermöglicht die Nachverfolgung und Veröffentlichung von Ergebnissen auf Ebene der Farmen außerdem durch kontinuierliche Verbesserung. Wir fordern FarmerInnen nicht nur dazu auf, die Anforderungen einzuhalten, sondern sich auch Verbesserungsziele zu setzen, um weitere Fortschritte im Bereich der Nachhaltigkeit zu erreichen und diese zu messen. Nach der Durchführung einer Ausgangsbewertung definieren FarmerInnen kontextspezifische Ziele, an denen sie gerne arbeiten möchten. Sie können sich zum Beispiel dazu entschließen, den Einsatz von Pestiziden zu überwachen und weiter zu reduzieren. Dabei nutzen sie Smart Meters, um ihren Fortschritt in Bezug auf dieses Ziel zu überwachen. FarmerInnen können dann die Daten der Indikatoren verwenden, um ihren Fortschritt jährlich zu reflektieren. Wenn kein oder nur wenig Fortschritt gemacht wurde, ist es an der Zeit, die Aktivitäten anzupassen. Diese Feedbackschleife ist wichtig für FarmerInnen, um ihre Methoden kontinuierlich zu verbessern.
Auch wenn wir Verfahren wie die Selbsteinschätzung, interne Inspektionen, unabhängige Audits und die Einführung von Beschwerdeverfahren in unserem Zertifizierungssystem nutzen, veröffentlichen wir die entsprechenden Ergebnisse nicht gegenüber den Käuferinnen zertifizierter Produkte. Unser Ansatz konzentriert sich auf Prävention, Engagement und Verbesserung auf Farmebene. Damit dies funktioniert, müssen FarmerInnen und FarmarbeiterInnen darauf vertrauen können, dass sie offen mit Herausforderungen umgehen und auf Lösungen hinarbeiten können. Wenn KäuferInnen von Übertretungen in Kenntnis gesetzt würden, würde das Risiko der Beendigung der Zusammenarbeit steigen und es somit schwieriger für FarmerInnen werden, Herausforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit anzugehen. Unser Ziel ist es immer, Farmen dabei zu helfen, sich zu verbessern und Missstände nicht zu vertuschen. Aus genau diesem Grund hat sich unser Zertifizierungsprogramm von einem Pass/Fail-Modell hin zu einem Ansatz der kontinuierlichen Verbesserung gewandelt.
5. Das Ergreifen von Wiedergutmachungsmaßnahmen, wenn diese erforderlich sind
Bei jedem Fall einer Menschenrechtsverletzung müssen zertifizierte FarmerInnen unser Remediation Protocol befolgen. ZertifikatsinhaberInnen sind dann verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Das Protokoll stellt ihnen verpflichtende Schritte in diesem Prozess sowie auch bewährte Methoden zur Verfügung. Beispiele für eine Wiedergutmachung könnten sein: ein Kind, das zur Kinderarbeit gezwungen wurde, wieder in die Schule zu schicken, die Zahlung einbehaltener Löhne, nicht vergüteter Überstunden oder illegaler Lohnabzüge, die Bereitstellung erforderlicher sozialer Dienstleistungen, Schulungen und/oder die Bestrafung von Tätern (z.B. von Vorgesetzten), die sich der sexuellen Belästigung schuldig gemacht haben.
Wir rufen Unternehmen dazu auf, mit uns gemeinsam an ihrer Sorgfaltspflicht zu arbeiten – sowohl innerhalb unseres Zertifizierungsprogramms als auch darüber hinaus. Während wir uns weiterhin für HREDD-Gesetze einsetzen, laden wir Unternehmen dazu ein, sich ebenfalls unserem Engagement anzuschließen. Diese Gesetze werden nicht nur zu Wettbewerbsgerechtigkeit für Unternehmen führen, die bereits ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen, sondern sie werden den Weg in eine Welt, in der Mensch und Natur gemeinsam gedeihen, noch weiter ebnen.